30. April 2024

Beziehungsstatus „Du bist schuld“

„Wessen Schuld war das?“ „Du bist Schuld!“ „Jetzt hab ich also die Schuld?“ „Immer bin ich Schuld!“ Warum ist es für viele Menschen so wichtig zu klären, wer der schuldige ist? Vermeintlich stehen dann die Seiten fest. Der eine hat Recht und der andere ist schuldig. Doch ist es damit getan? Ein schlechtes Gefühl bleibt. Und das sogar auf beiden Seiten.

„Du bist schuld! Immerhin hast Du von der verbotenen Frucht gegessen!“ Das wirft laut Bibel schon Adam seiner Eva vor. Solche Anklagen sind also so alt wie die Menschheit.

Um den Kreislauf von Schuld und Unschuld zu beenden, ist es wichtig, dass beide Seiten das Dilemma verstehen. Und das beide Seiten diese Situation beenden wollen. Es geht um die Suche nach Lösungen, anstatt sich auf das Problem zu konzentrieren. Auch hier gilt wieder einmal: Liebe es, lass es, oder verändere es. Wer es also verändern möchte, sollte ins Gespräch gehen. Gibt es keine Basis für eine Klärung, weil sich der vermeintlich „Schuldfreie“ im Recht sieht, ist auch das eine Entscheidung. Und Sie wissen, was zu tun ist.

Achtung Ausnahme!

Natürlich gibt es Schuld. Bei Gewaltverbrechen und Straftat gibt es eindeutig Schuldige. Davon möchte ich hier nicht schreiben. Mir geht es um die Schuldzuweisungen bei (meist privaten) Gesprächen, in Beziehungen. Für viele Menschen ist es wichtig, in Streitsituationen einen Schuldigen zu finden und so den Streit vermeintlich zu beenden. Weil, wenn einer schuldig ist, muss er sich endschuldigen und so Frieden stiften. Damit schiebt der andere die Schuld zum anderen und ist, so glaubt die Person, frei.

Entstehung von Schuld – ein Erklärungsversuch

Oft haben wir bereits im Kindesalter gelernt, dass wir uns für unsere Taten entschuldigen müssen. Für Eltern ist es meist einfacher dem Kind die Schuld an der Situation zuzuschreiben und sie damit in eine demütige Haltung zu bringen. Bei Streitigkeiten unter Kindern wird immer nach einem Schuldigen gesucht. Wer hat angefangen? Viele sind also von klein auf so konditioniert und machen das genau so weiter.

Worum geht es also bei der Schuldfrage? Um Recht und Unrecht? Um Macht und Ohnmacht. Vielen Menschen ist es sehr wichtig, das klar zu klären. Dann wird mit dem Finger auf den anderen gezeigt: „Du hast Schuld an dem Ganzen!“ Der eine bleibt als vermeintlicher Sieger zurück und der andere hat Schuldgefühle. Aber geklärt ist damit gar nichts. Es bleibt immer etwas zurück und diese Beziehung ist nicht auf Augenhöhe.

„Du hast mir das angetan!“ Das klingt nicht nur wie eine Bedrohung, es ist eine klare Kampfansage. Die Schuld wird komplett auf den anderen geschoben. So brauchen wir nicht über uns und unsere Angst nachdenken. Nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung. Doch gerade für Beziehungen ist es so wenig kommunikativ und zielführend. So entsteht immer eine Klassifizierung, die einer gleichberechtigten, ausgeglichenen Beziehung im Weg steht.

Reflexion ist die Lösung

Schuld gibt es nicht (außer Ausnahmen s.o.). Es gibt nur verschiedene Sichtweisen, ungeschickte Handlungen und dadurch Missverständnisse. Niemand muss für beide Seiten die volle Verantwortung übernehmen. Beide Seiten haben zum Konflikt beigetragen, haben ihren Anteil. Vielleicht hilft Ihnen dieser Blick auf die Streitigkeiten, um etwas ändern zu können.

Betrachten Sie die Situation doch einmal in Ruhe und mit etwas emotionalem Abstand.

  • Was hat zur Situation geführt?
  • Welchen Auslöser hat es gegeben?
  • Ist das, was ich über die Situation denke wirklich wahr?
  • Was habe ich dazu beigetragen? (eigenen Anteil)
  • Warum hat mein Gegenüber so reagiert?
  • Was könnte in meinem Gegenüber vorgegangen sein?

Wenn Sie ehrlich mit sich sind, werden Sie schnell sehen, wie auch Sie durch Ihr Verhalten zur Zuspitzung der Situation beigetragen haben. Manchmal gibt es emotionale Ausnahmezustände, die einen nur noch handeln lassen. Dieser Aktionismus bringt aber meist keine Lösung sondern eher eine Verschärfung des Konflikts. Sehen Sie genau hin, was können Sie beim nächsten Mal anders oder sogar besser machen? Wie können Sie Emotionalität aus der Situation nehmen?

Und selbst, wenn wirklich Sie mal allein an der Situation „Schuld“ sind, dann können Sie das zugeben und sich dafür entschuldigen. Fehler sind dafür da, gemacht zu werden. Sie sind nicht schlimm, wenn man daraus lernt. Aber bitte mit einer selbstbewußten Haltung, denken Sie an das Thema Selbstliebe. Es geht also darum, in angemessener Weise Verantwortung zu übernehmen. Ihr Gegenüber wird das sicher positiv überrascht anerkennen. Am besten ist es also, den begangenen Fehler als Gelegenheit zu sehen, es beim nächsten Mal anders zu machen.

Fallbeispiel: Sarah und Michael

Sarah ist es leid. Seit Monaten leben sie und ihr Mann Michael aneinander vorbei. Er hat ein wichtiges Projekt, macht viele Überstunden, kommt spät nach Hause und sieht dann nur noch fern.
Die Gespräche, die früher ihre Beziehung bereicherten, gibt es kaum noch. Da platzt Sarah der Kragen: „Du bist schuld, dass wir keine richtige Ehe mehr führen!“.
Michael verteidigt sich erwartungsgemäß wortreich. Er rechtfertigt sein Verhalten mit der Notwendigkeit, Geld zu verdienen und sieht gar nicht ein, dass er allein Schuld hat. Der Streit eskaliert und die Stimmung in Sarahs und Michaels Beziehung ist auf dem Tiefpunkt.

Erkennen Sie sich in Sarah und Michael wieder? Haben Sie ähnliche Situationen schon erlebt und fragen Sie sich, wie Sie solche Anklagen und Streitigkeiten verhindern oder lösen können?

Kommunikation oder Manipulation?

Respektvolle, aufrichtige und liebevolle Kommunikation ist eine wichtige Grundlage für langfristig gelingende Beziehungen. Dem Partner die Schuld an Beziehungsproblemen oder eigenen Schwierigkeiten zu geben, ist daher kein Beispiel für gute Gesprächsführung.
„Der Satz ‚Du bist schuld‘ deutet auf einen Manipulationsversuch im Gespräch hin. Der Schuldige soll emotional erpresst und unter Druck gesetzt werden, um sich dann anschließend entsprechend verändern zu lassen. Allerdings wird diese Taktik vermutlich nicht aufgehen“

„Du bist schuld!“ – Rechtfertigen Sie sich nicht!

Der Anklage „Du bist schuld“ geht nämlich meistens eine längere Geschichte voraus. Oft entwickeln sich Konflikte aufgrund alltäglicher Probleme, wie unterschiedlichem Ordnungssinn oder Freizeitgestaltung. Wird sich zunächst noch über herumliegende Socken und mangelnde Hilfe im Haushalt aufgeregt, ist die persönliche Ebene der nächste Schritt.

„Geben Sie nicht dem Drang nach, sich bei einer solchen Anklage sofort zu rechtfertigen. Versuchen Sie lieber, das Gespräch in eine positivere Richtung zu lenken und finden Sie heraus, was hinter den Vorwürfen steckt. Verständnis ist der Ausweg aus der Negativspirale“.

Die Frage nach dem „Warum“

Michael hätte auch anders reagieren und sich etwa fragen können, warum Sarah ihm vorwirft: „Du bist schuld!“. Er hätte versuchen können, nachzufragen, was Sarah wirklich bedrückt. Vermutlich hätte sie dann erzählt, dass sie die gemeinsame Zeit in der Beziehung vermisst und sich ungeliebt fühlt.

„Eine Begründung für das Verhalten des Partners zu erhalten, ist wichtig. Denn dann können Sie selbst anfangen, Verständnis für den Anderen zu entwickeln. Und mit diesem Verständnis sehen Sie die Dinge positiver.“

Verletzt?

Der Satz: „Du bist schuld!“ verletzt zweifellos. Hinzu kommt, dass Vorwürfe von einem geliebten Menschen besonders schwer zu verkraften sind. .

„Dazu kann es auch Sinn machen, sich Hilfe zu holen. Überlegen Sie auch, ob Sie hierzu nicht auch eine Paartherapie in Anspruch nehmen wollen“